Von Thomas Stark
Mieten und Monopole – die Wohnungsfrage im Kapitalismus als pdf downloaden!
Am 26. September wird die Berliner Bevölkerung in einem Volksentscheid über die Vergesellschaftung von gut 240.000 Wohnungen abstimmen. Die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“1, die das Volksbegehren initiiert hat, ist als Reaktion auf die Explosion der Mietpreise in der Hauptstadt entstanden. Dort hatten sich die Mieten in den letzten zehn Jahren im Mittel etwa verdoppelt2. Auch in anderen deutschen Großstädten wie München, Frankfurt am Main, Leipzig oder Köln stiegen die Mieten zwischen 2009 und 2019 deutlich stärker an als die sonstigen Warenpreise und um ein Vielfaches mehr als die Löhne. Das Wohnen in einigen Großstädten wird für die Arbeiter:innenklasse, aber zunehmend auch für Teile des Kleinbürger:innentums unbezahlbar. Millionen Arbeiter:innen dort bleibt heute nach der Zahlung ihrer Miete weniger als das Existenzminimum zum Leben übrig3. Mieter:inneninitiativen und sogar einige bürgerliche Parteien sprechen deshalb hinsichtlich der Wohnungsfrage von der „sozialen Frage des 21. Jahrhunderts“4. Das hat das Bundesverfassungsgericht im März nicht davon abgehalten, zur Freude der Wohnungskonzerne den Berliner „Mietendeckel“ zu kippen5, was erneut Zehntausende Menschen auf die Straßen gebracht hat. Die Initiator:innen des Berliner Volksbegehrens sehen die Monopolkonzerne auf dem Wohnungsmarkt als die Hauptverantwortlichen für den „Mietenwahnsinn“ an und wollen mit der Enteignung dieser Firmen „dauerhaft bezahlbare Mieten ermöglichen“. Aus den Reihen der Mieter:innenbewegung wird zudem die Forderung erhoben, dass Wohnraum „keine Ware“ sein darf6.
Wir nehmen diese Entwicklungen zum Anlass, um im Folgenden auf einige ökonomische und politische Aspekte der Wohnungsfrage im Kapitalismus einzugehen: Welchen gesellschaftlichen Charakter hat das Verhältnis zwischen Vermieter:innen und Mieter:innen? Kann Wohnraum im Kapitalismus etwas anderes sein als eine Ware? Ist die Monopolisierung des privaten Wohnungssektors tatsächlich die wichtigste Ursache für die Mietpreisexplosion in einigen Städten? Welche Rolle spielt die sogenannte Grundrente? Mit welcher politischen Ausrichtung sollte eine Mieter:innenbewegung der Arbeiter:innenklasse an die Wohnungsfrage herangehen? Und: Welche Forderungen sollte sie stellen?
Ist Wohnraum eine Ware?
Der Kapitalismus stellt die höchste Stufe der Warenproduktion dar, in der auch die Arbeitskraft zur Ware geworden ist. Je weiter er in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und in alle Winkel der Erde vordringt, vernichtet er althergebrachte Organisationsformen der Arbeitsteilung, zieht sie in die Sphäre der Mehrwertproduktion hinein und verwandelt Arbeitsprodukte in Waren. Es ist daher weder verwunderlich, dass im Kapitalismus auch Häuser und Wohnungen Waren sind, noch ist dieser Umstand für sich genommen besonders hervorzuheben – z.B. verglichen damit, dass auch Lebensmittel oder Medikamente im Kapitalismus als Waren gehandelt werden.
Genau wie bei allen anderen Waren findet die Produktion von Häusern heute in aller Regel unter den Bedingungen der Ausbeutung von Lohnarbeit statt: Es sind die Arbeiter:innen auf den Baustellen, welche die Häuser produzieren. Dabei produzieren sie während eines Teils des Arbeitstages den Gegenwert ihres Arbeitslohnes (des Werts ihrer Arbeitskraft) und während eines anderen Teils den Mehrwert für das kapitalistische Bauunternehmen. Die Ausbeutung von Lohnarbeit ist die Quelle für den Profit des Bauunternehmens sowie für den Profit von Immobilienfirmen, welche die Häuser von den Bauunternehmen kaufen und dann in der Rolle eines Handelsunternehmens weiterverkaufen oder vermieten. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Häuser ebenfalls nicht von anderen Waren wie Äpfeln oder Textilien.
Trotzdem gibt es bei der Ware Haus eine Reihe von Besonderheiten. Zunächst einmal ist der Gebrauchswert dieser Ware deutlich langlebiger als bei anderen Waren. Ein Apfel wird gegessen und ist damit vernichtet. Ein Kleidungsstück kann man höchstens einige Jahre tragen. Ein Haus sollte bei guter Bewirtschaftung trotz ständiger Nutzung einige Jahrzehnte stehen und bewohnt werden können. Dies eröffnet den Immobilienfirmen, die damit handeln, die Möglichkeit der Vermietung. Anstatt das Haus als Ganzes auf einmal zu verkaufen, verkauft die Firma die Nutzung der Wohnungen darin für einen bestimmten Zeitraum7. Der Preis für die Nutzung der Wohnungen wird dabei so kalkuliert, dass der Wert des Hauses inklusive des Profits des Bau- und des Handelsunternehmens über die Dauer seiner Nutzbarkeit wieder hereingeholt wird. Zusätzlich müssen der Verschleiß, die laufenden Betriebskosten (für Reparaturen, Sanierungen und Verwaltung) sowie mögliche Zeiten des Leerstands in diesen Preis einberechnet werden.
Ähnlich wie bei Kreditgeschäften, bei denen die Nutzung von Geldkapital für einen bestimmten Zeitraum verkauft wird, erhält die Immobilienfirma beim Mietgeschäft zusätzlich einen Zins auf das vermietete Warenkapital. Dieser stellt den Preis dafür dar, dass die Immobilienfirma den Wert des Hauses nicht auf einmal realisiert. Außerdem enthält die Miete einen Anteil Grundrente8, den der Eigentümer des Grundstücks für dessen Nutzung von der Immobilienfirma kassiert – sofern nicht beide identisch sind und die Immobilienfirma diese selbst einsteckt. Auf die Grundrente werden wir in einem späteren Abschnitt noch näher eingehen.
Zuletzt können Unternehmen mit einer Monopolstellung auf dem Wohnungsmarkt einen Aufschlag auf die Mieten durchsetzen – oder Unternehmen können betrügerische Praktiken anwenden, um den Preis zu erhöhen. Hierzu zählen z.B. Tricksereien bei Nebenkostenabrechnungen, mangelnde Investitionen in die Instandhaltung der Wohnungen und dergleichen. Dies ist am Ende jedoch keine andere Erscheinung als die Trickserei eines Obsthändlers, der seinen Kund:innen faule Erdbeeren untermischt, um einen besseren Schnitt zu machen – und bewegt sich damit innerhalb der üblichen Erscheinungswelt warenproduzierender Gesellschaften. Natürlich sind Vermieter:innen für solche Tricksereien in einer besonders günstigen Position, da Mieter:innen schwieriger ihren Wohnungsanbieter als ihren Obsthändler wechseln können.
Die Miete, das heißt der Preis, der für die Nutzung der Wohnung zu bezahlen ist, setzt sich am Ende also zusammen aus9:
- dem Baukapital inklusive Profit in Monatsraten unter Anrechnung des Verschleißes
- dem Zins auf das Baukapital
- den laufenden Kosten für Reparatur, Sanierung, Verwaltung, u.dgl., sowie für eventuellen Leerstand
- der Grundrente
- ggf. einem Monopolaufschlag
- ggf. einem Aufschlag aufgrund betrügerischer Geschäftspraktiken
Bei alldem bleibt das Verhältnis zwischen Vermieter:in und Mieter:in das zwischen Verkäufer:in und Käufer:in einer Ware. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vermieter ein kapitalistisches Unternehmen oder eine Privatperson ist. Es handelt sich beim Mietverhältnis also nicht um ein Ausbeutungsverhältnis wie bei dem zwischen Kapitalist:in und Lohnarbeiter:in. Der Versuch, eine Analogie zwischen dem Verhältnis Vermieter:in – Mieter:in und dem Verhältnis Kapitalist:in – Lohnarbeiter:in zu ziehen, wäre also irreführend10.
Das bedeutet auch, dass es für den ökonomischen Charakter des Verhältnisses zwischen Vermieter:in und Mieter:in keine Rolle spielt, ob die Mieter:innen Arbeiter:innen sind oder einer anderen Klasse angehören. Bezüglich des Mietverhältnisses besteht kein qualitativer Unterschied zwischen Arbeiter:innen und anderen Klassen. Sie alle sind gleichermaßen Warenkäufer:innen.
Die Arbeiter:innen sind jedoch quantitativ von den steigenden Mieten in den Großstädten besonders stark betroffen, müssen einen besonders großen Anteil ihres Einkommens für die Miete aufbringen – und das vor allem aufgrund stagnierender Löhne. Es sind die Arbeiter:innen, die in kleineren und häufig überbelegten Wohnungen wohnen11. Wenn sie von Mieterhöhungen, überteuerten Nebenkostenabrechnungen und sonstigen Abzockpraktiken betroffen sind, fehlen ihnen eher die finanziellen Rücklagen, solche Belastungen zu stemmen, als dies bei gut situierten Freiberufler:innen der Fall ist. Sie können sich daher auch seltener Anwält:innen leisten, um sich auf dem Rechtsweg gegen ihre Vermieter:innen zu wehren. Häufig ist die Konzentration des Wohneigentums bei Immobilienkonzernen zudem gerade in den proletarischen Vierteln der Großstädte besonders ausgeprägt. Diese wiederum nutzen professionell alle legalen und illegalen Spielräume aus, um ihre Mieteinnahmen auf Kosten der Mieter:innen zu steigern. All das führt dazu, dass die Arbeiter:innenklasse besonders stark von Verdrängung und Abzockpraktiken betroffen sind.
Allein sind sie damit jedoch nicht: Steigende Mietpreise und Verdrängung in den Städten sind Erscheinungen, die im Kapitalismus schon immer auch das Kleinbürger:innentum betroffen und in Bewegung gesetzt haben12. Auch heute sind die Mieter:innenbewegungen in Berlin, Leipzig, Frankfurt und anderen Großstädten stark von kleinbürgerlichen Kräften getragen – und das macht sich, wie wir noch sehen werden, in ihrer politischen Ausrichtung bemerkbar.
Diese grundlegenden Zusammenhänge sich klar zu machen ist eine notwendige Voraussetzung dafür, den Standpunkt der Arbeiter:innenklasse in der Mietenfrage richtig herauszuarbeiten.
Liegt das Problem in der Monopolisierung?
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat die großen Wohnungskonzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen, Akelius und andere ins Visier ihrer Kampagne genommen und führt die Entwicklung auf dem Berliner Wohnungsmarkt vor allem auf die Machenschaften dieser Unternehmen zurück: „Ihr Geschäftsmodell ist der Profit auf Kosten unserer steigenden Mieten. Die Deutsche Wohnen ist sogar gezwungen, unsere Mieten immer weiter zu erhöhen – denn nur so kann sie ihren Aktionären die hohen Dividenden zahlen, die sie ihnen versprochen hat. Wegen ihrer Größe können Deutsche Wohnen & Co den Mietmarkt besonders beeinflussen. Ihre Enteignung wäre ein wichtiges Signal – denn die kleinen Miethaie nehmen sich die großen Miethaie als Vorbild.“13 Mit der Vergesellschaftung wolle man „zwölf Prozent der Berliner Mietwohnungen“ der „Spekulation“ entziehen und „dauerhaft bezahlbare Mieten“ ermöglichen: „Keine fette Dividende mehr für Aktionär:innen, die aus unseren Mieten bezahlt werden muss.“
Auch wenn diese Beschreibung der Wohnungskonzerne als Preistreiber auf den städtischen Wohnungsmärkten völlig korrekt ist, müssen wir die alleinige politische Fokussierung auf den großen Wohnbesitz, wie sie die Initiative vertritt, kritisch hinterfragen. Tatsächlich zeigt nämlich ein Blick auf die Verteilung des Wohnungsmarktes in Deutschland und die Geschichte der Privatisierungen der letzten zwanzig Jahre, dass die Erklärung „Spekulation und Jagd nach Dividenden lassen Mietpreise explodieren“ zu kurz greift.
Nach Zahlen der Bundeszentrale für politische Bildung14 gibt es in Deutschland (Stand 2018) 41,3 Millionen Wohneinheiten, wovon die eine Hälfte Geschosswohnungen (20,8 Millionen) und die andere Hälfte Ein- und Zweifamilienhäuser sind. Letztere befinden sich überwiegend im Privatbesitz von Selbstnutzer:innen oder Kleinanbieter:innen und sind daher für die weitere Betrachtung nicht relevant. Dasselbe gilt für die 14,4 % der Geschosswohnungen, die von ihren Eigentümer:innen selbst genutzt werden.
Für eine Analyse der Wohnungsfrage sind die 17 Millionen Geschosswohnungen in Deutschland zu betrachten, die vermietet werden. Hier finden wir wiederum eine Hälfte, die von professionell-gewerblichen Anbieter:innen (8,9 Mio.) vermietet wird, und eine andere Hälfte im Besitz von privaten Kleinanbieter:innen (8,8 Mio.). Von den professionell-gewerblichen Anbieter:innen hielten die privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen im Jahr 2018 mit 3,9 Millionen Wohnungen etwa 18,8 % des gesamten deutschen Geschosswohnungsbestandes. Der Rest entfiel auf kommunale Wohnungsunternehmen (2,4 Mio. / 11,5 %), Wohnungsgenossenschaften (10,1 %), sowie kirchliche, gewerkschaftliche und sonstige öffentliche Träger (ca. 2,4 %).
Das bedeutet, gerade einmal ein knappes Fünftel des deutschen Geschosswohnungsbestands befindet sich in den Händen von privaten Wohnungskonzernen, während private Kleinvermieter:innen und Eigennutzer:innen zusammen immer noch 56,7 % der Geschosswohnungen halten. Diese dominante Rolle des Kleinbesitzes auf dem gesamtdeutschen Wohnungsmarkt ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber anderen Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft: „Ende 2015 verfügen die sieben größten börsennotierten Wohnungsunternehmen in Deutschland über mehr als 850.000 Wohneinheiten. Gemessen am gesamten Geschosswohnungsbestand (20,8 Mio. WE) macht dies einen Anteil von 4 Prozent aus. Gemessen am Bestand aller professionell-gewerblichen Wohnungsunternehmen (8,9 Mio. WE) entspricht dies einem Anteil von annähernd 10 Prozent. Damit ist dieser Wert jedoch kleiner als in vielen anderen Wirtschaftssektoren, wie etwa in der Automobilindustrie oder gar im Lebensmitteleinzelhandel, wo sich fünf Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen ca. 90 Prozent des Marktes unter sich aufteilen.“15
Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass die Monopolisierung des Geschäfts mit der Wohnungsvermietung lokal sehr unterschiedlich vorangeschritten ist. Während sie in ländlichen Regionen häufig wenig bis gar keine Rolle spielt, lag etwa der Anteil von Vonovia am Dresdener Wohnungsmarkt im Jahr 2015 bei 13 % und der von TAG in Salzgitter bei 18 %. Eine Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen würde dem entstehenden Gesamtkonzern zwar nur einen deutschlandweiten Marktanteil von 3 % bescheren. In Berlin käme der Konzern aber schon nahe an die 10-Prozent-Marke. Auch das erscheint nicht viel. Man muss sich aber vor Augen führen, dass der Mietspiegel in deutschen Städten von Straßenzug zu Straßenzug bestimmt wird. Und hier, auf dieser lokalen Ebene, können die Wohnungsmonopolisten eben leicht 80, 90 oder 100 Prozent des Wohnraums kontrollieren und ihre Macht als Preistreiber:innen ausspielen, während ihr Einfluss in anderen Stadtvierteln oder sogar bloß anderen Straßenzügen schon verschwindend gering sein kann, weil hier der Kleinbesitz dominant ist.
Dass der Aufkauf von Wohnungen durch Vonovia, Deutsche Wohnen und Co. allein für die Verdoppelung der Mieten in Berlin oder den starken Anzug der Mieten in anderen deutschen Städten verantwortlich ist, erscheint bereits vor diesem Hintergrund als unwahrscheinlich – wenn diese Konzerne auch zweifellos lokal eine wichtige Rolle als Preistreiber:innen spielen.
Darüber hinaus muss der häufig im Zusammenhang mit Vonovia und Co. verwendete Begriff der Immobilienspekulation korrekt eingeordnet werden. Die Welle an Privatisierungen ehemals staatlicher Wohneinheiten und Wohnungsverkäufen überhaupt, die etwa ab 1999 eingesetzt hat, lässt sich in zwei Phasen unterteilen. In der ersten Phase, die etwa bis zur Weltwirtschaftskrise von 2009 andauert, sind deutschlandweit 3,2 Millionen Wohnungen im Rahmen von Großtransaktionen verkauft worden. Hierbei handelte es sich vornehmlich um Verkäufe von staatlichen Wohnungen, und die Käufer:innen waren vor allem Finanzunternehmen, deren Geschäftsmodell auf dem Wohnungsmarkt die Immobilienspekulation war (billig kaufen – teuer verkaufen). Ab 2010, also nach der Wirtschaftskrise, begann dann eine neue Phase bei den Wohnungsverkäufen in Deutschland. Zwischen 2010 und 2015 waren 70 Prozent der Wohnungsverkäufe im Rahmen von Großtransaktionen Wiederverkäufe, das heißt die Wohnungen wurden von Firmen verkauft, die sie erst kürzlich selbst gekauft hatten. Nach der Wirtschaftskrise haben die Finanzunternehmen auf dem Immobilienmarkt nämlich den Profit aus ihrem Spekulationsgeschäft realisiert. Die Käufer:innen wiederum waren vor allem die Wohnungskonzerne Annington (heute Vonovia), Deutsche Wohnen und Co. Diese kaufen die Wohnungen aber nicht in erster Linie, um sie teurer wieder abzustoßen. Vielmehr sind diese Konzerne Handelsunternehmen, die ihren Profit mit der professionellen Vermietung auf großer Skala machen – was die Anwendung von Abzockpraktiken einschließt16.
Wir kommen daher zu dem Schluss, dass sowohl die Monopolisierung bei den Wohnungskonzernen als auch die Erscheinung der Immobilienspekulation jeweils nur einen Teil des Mietproblems erklären kann, aber nicht den Kernpunkt bei der heutigen Wohnungsfrage in deutschen Großstädten bilden.
Welche Rolle spielt die Grundrente?
Damit sind wir bei der Frage angelangt, was denn nun das Kernproblem bei der Wohnungsfrage im Kapitalismus ist: Also die tiefergehende Ursache dafür, dass die Mietpreise in den Großstädten häufig deutlich stärker ansteigen als das allgemeine Niveau der Warenpreise. Hier kommen wir zur Grundrente zurück, die wir weiter oben bei der Behandlung der unterschiedlichen Bestandteile des Mietpreises schon einmal erwähnt hatten.
Es stellt sich heraus, dass die Frage nach der Existenz von Monopolen für die Analyse der Wohnungsfrage genau die richtige ist – nur wird diese Frage meist zu oberflächlich gestellt. Viel grundlegender als die Monopolisierung des Handels mit Mietwohnungen, die in Deutschland vor allem seit der Wirtschaftskrise 2009/2010 an Fahrt gewonnen hat, ist nämlich das Bodenmonopol, das bereits seit Bestehen des Kapitalismus existiert, und welches die Basis für die Existenz der Grundrente bildet.
Was verstehen wir unter dem Bodenmonopol? Während Häuser und Wohnungen im Kapitalismus ganz gewöhnliche Waren, also das Produkt gesellschaftlicher Arbeit sind, sieht es beim Grund und Boden etwas anders aus. Dieser ist zunächst einmal nicht das Produkt von Arbeit, befindet sich aber gleichwohl in aller Regel in privatem Besitz – und das bereits seit der Entstehung der Klassengesellschaften. Grund und Boden ist zudem von Natur aus begrenzt. Er lässt sich im Gegensatz zu industriellen oder landwirtschaftlichen Waren nicht beliebig vermehren. Gleichzeitig ist er eine notwendige Voraussetzung für fast alle Produktionstätigkeiten (z.B. als Ackerland, Rohstoffquelle oder Bauland). Dies ermöglicht es seinen Eigentümer:innen, ihn an industrielle Kapitalist:innen zu verpachten, ihnen den Grund und Boden also gegen einen Geldbetrag zu überlassen. Bei dieser Art von Geschäft eignen sich die Grundeigentümer:innen einen Teil des industriellen Mehrwerts an, der auf dem jeweiligen Stück Land produziert worden ist. Dieser Teil des Mehrwerts ist die Grundrente17.
Der marxistische Begriff des Bodenmonopols meint also nicht zwingend, dass wenige Unternehmen so viel Kapital zentralisiert hätten, dass sie den Markt einer bestimmten Sparte fast vollständig beherrschen, sondern dass die Klasse der Grundeigentümer stets ein Monopol an Grund und Boden hält, weil sich dieser schlicht nicht produzieren lässt. Sein Gesamtumfang bleibt stets begrenzt18.
Die ökonomische Eigenschaft, dass das private Grundeigentum zum regelmäßigen Kassieren eines Teils des Mehrwerts berechtigt, macht den Grund und Boden zu einem begehrten Anlageobjekt. In diesem Zusammenhang sind zwei Gesetzmäßigkeiten des Bodenmonopols und der Grundrente im Kapitalismus hervorzuheben:
Erstens fällt die Grundrente umso höher aus, je besser die Qualität oder Lage des jeweiligen Grundstücks ist19: Landwirtschaftliche Grundstücke werfen umso mehr Rente ab, je ertragreicher der Boden oder je besser er an Transportwege angebunden ist. Baugrundstücke bringen mehr Rente, wenn sie z.B. in begehrten Innenstadtlagen liegen. Das Monopol der Grundeigentümer:innen über das jeweilige Stück Land erlaubt es ihnen in diesem Fall, einen Aufschlag gegenüber seinen Pächter:innen durchzusetzen. Die ökonomische Grundlage hierfür ist, dass die Pächter:innen auf einem Grundstück in besserer Lage (ob es nun ein Baugrundstück ist oder eines zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung) Extraprofite erzielen, und die Grundeigentümer:innen einen Teil dieser Extraprofite für sich einfordern. Insgesamt zwingt die Grundrente die industriellen Kapitalist:innen, einen so großen Mehrwert zu erzielen, dass sie neben der Grundrente noch den Durchschnittsprofit für sie selbst abwirft. Dies wiederum wirkt sich steigernd auf die Ausbeutungsbedingungen der Lohnarbeiter:innen und senkend auf die Produktivität insgesamt aus. Insbesondere führt die Existenz der Grundrente dazu, dass die Produktivität der Landwirtschaft systematisch hinter der Industrie zurückbleibt: Dies ist die ökonomische Grundlage des Stadt-Land-Gegensatzes im Kapitalismus, der wiederum die Abwanderung von Arbeiter:innen aus dem ländlichen Raum in die Städte und damit das Wachstum der Städte hervorbringt. Die bloße Existenz der Grundrente wirkt sich also auf zwei Wegen auf den Wohnungsmarkt aus: Einerseits durch die steigende Nachfrage nach Wohnungen in Großstädten als Folge des Stadt-Land-Gegensatzes, andererseits durch die hohe Rente auf Grundstücke in guter städtischer Lage.
Zweitens steigen die Bodenpreise umso mehr an, je niedriger das Zinsniveau der jeweiligen kapitalistischen Nationalökonomie ist. Entscheidend ist hier der Vergleich zwischen Zinserträgen und Grundrente: Bei gegebener Grundrente werden Investor:innen den Preis für ein Grundstück mit dem Geldbetrag vergleichen, den sie bei einer Bank anlegen müssten, um den entsprechenden Zinsertrag zu erhalten. Je niedriger der Zinssatz ist, desto mehr Geld muss angelegt werden, um einen bestimmten Ertrag damit zu erzielen. Sind die Renditen auf dem Grundstücksmarkt besser, werden die Investor:innen ihr Geld eher dort anlegen. Genau diese Gesetzmäßigkeit macht sich heute, da das Zinsniveau in den imperialistischen Staaten auf einem Rekordtief und teilweise sogar im negativen Bereich liegt, massiv in Form von steigenden Bodenpreisen bemerkbar.
Mehr noch: Im Monopolkapitalismus entsteht gesetzmäßig ein chronischer Überschuss an freiem Geldkapital, für das es tendenziell immer schwieriger wird, rentable Anlagemöglichkeiten zu finden. Freies Geldkapital fließt heute in immer spekulativere Finanzprodukte, in Derivate, Kryptowährungen, Kunstobjekte, Edel-Whisky – und eben auch in Immobilien: Vorzugsweise natürlich in stark wachsenden Metropolen wie Hongkong, London, Los Angeles oder Berlin. Das bedeutet: Je mehr Kapital in die begrenzten Grundstücksflächen dieser Großstädte fließt, desto stärker schießen die Bodenpreise dort in die Höhe. Dies erhöht im Zusammenwirken mit den hohen Grundrenten den Druck auf das Baukapital, möglichst lukrative Immobilien dort produzieren zu lassen – und zwar unter möglichst guten Ausbeutungsbedingungen gegenüber den Lohnarbeiter:innen. Wohnunterkünfte für Arbeiter:innenfamilien gehören nicht zu den lukrativsten Immobilienprojekten – stattdessen fließt das Baukapital unter dem erhöhten Profitdruck
eher in Geschäftsflächen und Luxuswohnungen. Das heißt, das Angebot für bezahlbare Arbeiter:innenwohnungen bleibt tendenziell knapp20. Wir sehen, dass Wohnungsknappheit für Arbeiter:innen in den Städten und sich verschärfende Ausbeutungsbedingungen auf dem Bau zwei Seiten einer Medaille sind.
Ebenso wie auf das Baukapital steigt der Renditendruck durch hohe Bodenpreise und Grundrenten auch auf Immobilienkonzerne bzw. Vermieter:innen insgesamt, und zwar unabhängig davon, ob sie den Grundeigentümer:innen horrende Pachten zahlen müssen oder ob sie selbst Grundeigentümer:innen sind und die Grundrente zu ihren Profitquellen zählt. In beiden Fällen werden sie alle legalen sowie allerlei illegale Möglichkeiten nutzen, um die steigende Grundrente über den Mietpreis hereinzuholen. Hier haben wir also die nächste unmittelbare Ursache für die Tendenz zu Mietpreissteigerungen.
Zusammenfassend ist es also die Existenz der Grundrente, die im Kapitalismus zur Explosion der Mietpreise in den Großstädten führt, nämlich
- weil privates Bodeneigentum und Grundrente überhaupt die Basis für den Stadt-Land-Gegensatz bilden, der zum massiven Anwachsen der Großstädte führt, und damit die Nachfrage nach Wohnungen erhöht,
- weil steigende Grundrenten und Bodenpreise in den Städten zur tendenziellen Verknappung des Wohnraumangebotes für die unteren Bevölkerungsschichten führen, da Baukapital in lukrativere Immobilienprojekte gedrängt wird, und
- durch den Druck auf Immobilienfirmen und Vermieter:innen überhaupt, die gezwungen sind gestiegene Grundrenten über die Miete wieder hereinzuholen.
Die Grundrenten in den Städten steigen wiederum überproportional an wegen der begrenzten Verfügbarkeit von Grund und Boden dort bei immer steigender Nachfrage, welche durch den chronischen Überschuss von freiem Geldkapital im Monopolkapitalismus noch verstärkt wird. Der tendenzielle Fall des Zinsniveaus, der eine Gesetzmäßigkeit im Kapitalismus ist, verstärkt zusätzlich den Anstieg der Bodenpreise bei gegebener Grundrente21.
Damit haben wir auch den Zusammenhang zwischen Immobilienspekulation, Wohnungsmarktkonzentration und steigenden Mieten weiter entwirrt, den wir oben schon einmal behandelt hatten: Es sind weniger die Wohnungskonzerne, die ihren Profit durch Spekulation machen und deshalb die Mieten in die Höhe treiben. Ihr Geschäftsmodell ist, wie oben gezeigt, eher der Handel. Es ist vielmehr das chronisch überschüssige Geldkapital im Imperialismus, das – unter anderem zwecks Spekulation – in Grundstücke fließt, die (auf der Grundlage des Stadt-Land-Gegensatzes) bereits enormen Bodenpreise und Grundrenten dort weiter in die Höhe treibt und damit den Druck auf alle Anbieter:innen von Wohnungen erhöht, die Mietpreise anzuziehen. Der entscheidende Hebel für die Mietpreisexplosion ist jedenfalls die Grundrente.
Zuletzt sei bemerkt, dass das Phänomen der exorbitant steigenden Mietpreise aufgrund der Grundrente keineswegs erst seit den letzten Jahren zu beobachten ist. Schon im 19. Jahrhundert beschreibt Friedrich Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ die Grundrente als Ursache der Mietpreisexplosion in Städten wie London: „Und wenn das Haus inzwischen «fünf- oder zehnmal den ursprünglichen Kostenpreis deckte», so werden wir sehn, daß dies lediglich einem Aufschlag der Grundrente geschuldet ist; wie dies niemandem ein Geheimnis ist an Orten wie London, wo Grundbesitzer und Hausbesitzer meist zwei verschiedene Personen sind. Solche kolossale Mietsaufschläge kommen vor in rasch wachsenden Städten, aber nicht in einem Ackerdorf, wo die Grundrente für Bauplätze fast unverändert bleibt. Es ist ja notorische Tatsache, daß, abgesehn von Steigerungen der Grundrente, die Hausmiete dem Hausbesitzer durchschnittlich nicht über 7 p.c. des angelegten Kapitals (inkl. Profits) jährlich einbringt, woraus dann noch Reparaturkosten etc. zu bestreiten sind.“22
Löst die Enteignung der großen Wohnungskonzerne die Wohnungsfrage?
Wir kommen damit zur Frage, wie das Problem der steigenden Mieten aus Sicht der Arbeiter:innenklasse gelöst werden kann. Die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ setzt hier bekanntlich auf die Enteignung der großen Wohnungskonzerne. Wir haben aber gesehen, dass das Problem der Mietpreisentwicklung im Kapitalismus tiefer liegt als die Monopolisierung der Wohnungsunternehmen.
Die Forderung nach Enteignung geht deshalb zwar in die richtige Richtung, ist aber in zweierlei Hinsicht inkonsequent:
Erstens versteht die Initiative unter der „Enteignung“ nicht mehr als eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes. Das bedeutet, der Staat (in diesem Fall das Land Berlin) würde den Konzernen die Wohnungen abkaufen und damit ihre Profite (wenigstens zum Teil) realisieren. Daran ändert prinzipiell auch das von der Initiative vorgeschlagene Modell der „Entschädigung unter Marktwert“ nichts, das eine Kreditaufnahme des Landes Berlin vorsieht, die aus den Mieteinnahmen der vergesellschafteten Wohnungen abbezahlt werden soll23. Selbst wenn der Volksentscheid angenommen und die Landesregierung von Berlin tatsächlich Anstrengungen unternehmen würde, diesen umzusetzen, würde die konkrete Ausgestaltung der Vergesellschaftung den Mühlen des bürgerlichen Staates (inklusive seiner Gerichte) überlassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in der Praxis dieses Staates ein halbgares Kompromissmodell durchsetzen würde, bei dem die Arbeiter:innenklasse zugunsten von Vonovia und Co. über den Staatshaushalt zur Kasse gebeten wird, dürfte wohl immer noch am größten sein.
Zweitens besteht die noch viel grundlegendere Inkonsequenz der Enteignungskampagne darin, dass sie bei den großen Wohnungskonzernen stehen bleibt und nicht das Privateigentum an Grund und Boden überhaupt ins Visier nimmt. Das Problem des Bodenmonopols und der Grundrente, welche die Ursache für die Wohnungsfrage im Kapitalismus sind, lässt sich aber nur konsequent lösen, indem der gesamte Grund und Boden in Deutschland nationalisiert wird – nämlich so, wie es in früheren Anläufen zur Errichtung sozialistischer Gesellschaften bereits umgesetzt wurde (wie z.B. in der Sowjetunion)24.
Durch die Nationalisierung des Grund und Bodens würde das Problem beseitigt, dass sich eine Klasse von Grundeigentümer:innen (die heute mit der Kapitalist:innenklasse verschmolzen ist) aus dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt bereichern kann, ohne irgendeinen Beitrag zur gesellschaftlichen Arbeit zu leisten. Die Existenz des privaten Grundeigentums lastet auf allen Teilen der Wirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft, und führt dort zur systematischen Senkung der Produktivität. In den Großstädten führt sie dazu, dass der Wohnraum für immer mehr Menschen aus den werktätigen Klassen unbezahlbar wird. Ist das private Grundeigentum beseitigt, fällt die dann noch bestehende Grundrente vollständig dem Staat zu und kann für gesellschaftliche Belange eingesetzt werden. Es steht außer Frage, dass diese Art der Nationalisierung im bürgerlichen Staat nicht umgesetzt werden kann, sondern einen Staat unter der Herrschaft der organisierten Arbeiter:innenklasse, das heißt eine sozialistische Revolution voraussetzt.
Die Arbeiter:innenklasse ist heute die einzige gesellschaftliche Klasse, die ein konsequentes Interesse an der Durchsetzung der Nationalisierung des Grund und Bodens hat und damit in der Lage ist, diese Forderung politisch durchzusetzen. Nur das Eigentum der großen Wohnungskonzerne in Frage zu stellen und das Kleineigentum an Grund und Boden bei der Vergesellschaftung außen vor zu lassen ist dagegen eine Inkonsequenz, die relativ typisch die Interessenlage des Kleinbürger:innentums bzw. derjenigen Teile der Arbeiter:innen zum Ausdruck bringt, die über ein gewisses Kleineigentum (wie z.B. ein Haus) verfügen. Man könnte sogar die Frage aufwerfen, ob kleine Grundstückseigentümer:innen in Berlin von einer Vergesellschaftung der Großkonzerne nicht sogar in Form von steigenden Bodenpreisen profitieren würden, weil sich die Menge der frei handelbaren Grundstücke im Falle der „Enteignung“ von „Deutsche Wohnen und Co.“ gegenüber dem weiter anwachsenden freien Geldkapital verringern würde.
Jedenfalls ist es ein symptomatisches Problem der heutigen Mieter:innenbewegung in den imperialistischen Staaten, dass die gesellschaftliche Perspektive in der Wohnungsfrage dort meist bei der Anbetung des Kleineigentums stehenbleibt. Dies ist insbesondere bei allen Modellen der Fall, die auf die Bildung von Genossenschaften im Kapitalismus hinauslaufen, wie sie heute auch in Teilen der politischen Widerstandsbewegung mit kommunistischem Anspruch verbreitet sind. Genossenschaften sind letztlich nichts anderes als kollektives Kleineigentum. Dieses setzt nicht nur einen Grundstock an Geldkapital bei den „Genoss:innen“ voraus – was eine Eintrittsschwelle für Menschen bildet, die von nichts als dem Verkauf ihrer Arbeitskraft leben, und diese im Zweifel sogar von ihren finanzkräftigeren „Genoss:innen“ abhängig macht. Daneben bindet das kollektive ebenso wie jedes andere Kleineigentum neben Geld auch sehr viel Arbeit und Zeit, da die Eigentümer:innen sich selbst um solche Dinge wie Stromleitungen und Heizungen, Versicherungen, den Garten und überhaupt um den Erhalt der Bausubstanz kümmern müssen.
Eine echte gesellschaftliche Perspektive für die Arbeiter:innenklasse hat der Kapitalismus dagegen schon längst vorbereitet, indem er den Bau von Häusern in gesellschaftliche Arbeit verwandelt und einen Großteil der Arbeiter:innen vom Privateigentum an Wohnraum „befreit“ hat (tatsächlich gehört Deutschland heute sogar zu den kapitalistischen Ländern mit der geringsten Wohneigentumsquote25). Im Sozialismus wird sowohl die Produktion und Instandhaltung als auch die Verteilung des Wohnraums eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein, die durch den Staat der Arbeiter:innenklasse organisiert wird. Grundstücke und Häuser, die dem gesellschaftlichen Zweck, als Wohnraum zu fungieren, bislang aufgrund des privaten Grundeigentums entzogen waren – z.B. weil die Flächen zu Spekulationszwecken brachlagen – können nach der Nationalisierung unmittelbar für den Bau von Häusern herangezogen werden.
Eine proletarische Mieter:innenbewegung wäre jedenfalls gut beraten, die bestehenden Halbheiten und Inkonsequenzen in der Wohnungsfrage zu überwinden und alle Positionen fallen zu lassen, die letztlich auf die Verewigung des Kleineigentums hinauslaufen. Stattdessen sollte sie offensiv die gesellschaftliche Perspektive der Nationalisierung des gesamten Grund und Bodens aufzeigen und diese Forderung ins Zentrum ihrer Propaganda zur Wohnungsfrage stellen.
Welche Forderungen in der Wohnungsfrage aufstellen?
Damit bleibt noch zu klären, welche Tagesforderungen wir heute in der Mietenfrage aufstellen sollten, da die Nationalisierung des Grund und Bodens noch nicht unmittelbar auf der Tagesordnung steht.
Es steht außer Frage, dass wie auch immer geartete „Mietendeckel“ im Kapitalismus immer nur kurzfristig Abhilfe gegen steigende Mieten schaffen können. Das Beispiel des Berliner Mietendeckels hat dies in den letzten Jahren eindrücklich gezeigt. Nach kapitalistischer Logik sind Unternehmen, die ihre Einnahmen nicht mehr durch Mieterhöhungen steigern dürfen, gezwungen, Kosten zu senken, um ihre Profite zu sichern. Das bedeutet, dass entweder bei Verwaltung, Reparaturen, Instandsetzung o.ä. gespart wird, oder dass die Kosten hierfür, die eigentlich Bestandteile der Miete sind, zu Nebenkosten umdeklariert werden, sodass die Warmmieten trotzdem weiter steigen. Beide Varianten gehen natürlich wieder zulasten der Mieter:innen. Nicht zuletzt muss ein staatlich verordneter Mietendeckel unter kapitalistischen Bedingungen dazu führen, dass Investitionen in neuen Wohnraum zurückgehalten werden und sich das Problem des Wohnraummangels für Arbeiter:innen im Zweifel eher verschärft26.
Nichtsdestoweniger kann die Forderung nach einem Stopp der Mietsteigerungen oder nach Mietsenkungen als politische Forderung Sinn machen, wenn es gelingt, Arbeiter:innen in proletarischen Stadtteilen im Kampf für solche Forderungen zu aktivieren. Dabei ist es jedoch wichtig, keine Illusionen bezüglich der Wirksamkeit oder Nachhaltigkeit von Mietendeckeln zu erzeugen, sondern herauszuarbeiten, dass Mietendeckel nur eine Behelfslösung gegen die unmittelbarsten Nöte der städtischen Bevölkerung, ein erster Schritt im Kampf für weitergehende Verbesserungen der Lage der Mieter:innen sein können. Eine proletarische Mieter:innenbewegung muss klarstellen, dass die Wohnungsfrage endgültig nur durch die Nationalisierung, das heißt durch die sozialistische Revolution zu lösen ist.
Eine weitere „Behelfsforderung“ neben Mietendeckeln und Mietsenkungen könnte sein, bei der Berechnung des Mietspiegels in Straßenzügen künftig nicht nur die (teureren) Neumieten der letzten Jahre, sondern auch die älteren (und günstigeren) Bestandsmieten heranzuziehen, sodass der Mietspiegel von den Vermieter:innen weniger als Argument für Preissteigerungen angeführt werden kann. Ebenso kann es, je nach der konkreten politischen Lage in einem Stadtteil oder Straßenzug, taktisch Sinn machen, Mietsteigerungen und Verdrängung durch die Forderung nach Milieuschutzsatzungen Grenzen zu setzen.
Neben diesen politisch-rechtlichen Forderungen ist es die Aufgabe einer proletarischen Mieter:innenbewegung, die direkte kollektive Gegenwehr der Stadtbewohner:innen gegen jedes konkrete Auftreten von Abzocke (z.B. durch frisierte Nebenkostenabrechnungen), Gentrifizierungsprojekten, Leerstand und Zwangsräumungen zu organisieren. In solchen Kämpfen erfüllt die Bildung von selbstorganisierten Mieter:innenräten eine wichtige organisatorische Funktion und dient dazu, die Arbeiter:innen in der Praxis an die Regelung ihrer politischen und gesellschaftlichen Belange heranzuführen.
Bei allen genannten Kämpfen muss heute im Vordergrund stehen, die spontane Tendenz zu durchbrechen, dass Arbeiter:innen ihre Wohnungen bei Mietsteigerungen (z.B. infolge von Luxussanierungen und anderen kapitalistischen Projekten27) kampflos räumen.
Eine ganz zentrale Aufgabe einer proletarischen Mieter:innenbewgung ist es, den Kampf gegen explodierende Mieten und Verdrängung als Teil des gesamten Kampfes gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter:innen zu begreifen und mit anderen solchen Kämpfen zu verbinden. Das wichtigste Kampffeld der Arbeiter:innen liegt dabei in den Betrieben, und die wirksamste Waffe gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen sind Streiks für höhere Löhne.
Tatsächlich ist die Mietenfrage aus Sicht der Arbeiter:innen in Wahrheit eine verdeckte Lohnfrage. Die Kosten für Wohnraum gehen in den Wert der Ware Arbeitskraft ein, die die Arbeiter:innen an die Kapitalist:innen verkaufen. Steigende Mieten müssten deshalb gleichermaßen steigende Löhne nach sich ziehen. Das spezifische Problem der Arbeiter:innenklasse in der Wohnungsfrage besteht darin, dass die Kapitalist:innen die Löhne drücken, während die Preise – und dabei vor allem die Mietpreise – laufend steigen. Wir haben ebenso in den obigen Betrachtungen gesehen, dass die Probleme der steigenden Mieten Hand in Hand mit einer wachsenden Ausbeutung der Arbeiter:innen in der Bauindustrie gehen. Auch die Antwort hierauf kann nur in einer Verbindung von Lohnkämpfen am Bau mit Mietkämpfen in den Stadtteilen bestehen.
Durch ein klares Verständnis über die Natur der Wohnungsfrage und die Verbindung der genannten verschiedenen Kampffelder wird die Arbeiter:innenklasse ihre passive Rolle gegenüber kleinbürgerlichen Kräften in der Mieter:innenbewegung durchbrechen und selbst die führende politische Rolle in dieser Bewegung einnehmen können. Erst auf diese Weise, unter der Führung der Arbeiter:innenklasse und ohne illusionäres Festhalten am Kleineigentum wird die Mieter:innenbewegung auch ihre volle Macht in den Städten entfalten.
Fußnoten:
2 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167163/umfrage/mietentwicklung-in-den-deutschen-grossstaedten/
3 https://perspektive-online.net/2021/08/steigende-mieten-inflation-langzeitarbeitslosigkeit-wie-der-lebensstandard-der-arbeiterinnenklasse-sinkt/
5 https://perspektive-online.net/2021/08/mietkonzern-deutsche-wohnen-profitiert-von-gekipptem-mietendeckel-und-macht-hoehere-profite/
7 Vgl. Friedrich Engels, „Zur Wohnungsfrage“, MEW 18, S. 270 f.
8 Vgl. Karl Marx, „Das Kapital“, Band III, MEW 25, S. 781
9 Vgl. Engels, ebd., S. 230
10 Friedrich Engels kritisiert diese falsche Auffassung beim Proudhonismus. Vgl. Engels, ebd., S. 216
11 https://perspektive-online.net/2020/11/stay-home-64-millionen-menschen-leben-in-zu-engen-wohnungen/
12 Vgl. Engels, ebd., S. 215
14 Guido Spars, „Die Etablierung großer Wohnungskonzerne und deren Folgen für die Stadtentwicklung“, https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/stadt-und-gesellschaft/216870/etablierung-grosser-wohnungskonzerne
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Marx, ebd.
18 Weil es in Deutschland kein öffentlich einsehbares Grundregister gibt, ist die genaue Verteilung des Bodens hierzulande übrigens weitgehend unbekannt. Siehe dazu z.B. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/behrens.pdf
19 Tatsächlich handelt es sich hier um einen bestimmten Bestandteil der Grundrente, der als Differentialrente bezeichnet wird und selbst wieder in mehrere Bestandteile zerfällt.
20 https://perspektive-online.net/2018/04/in-deutschlands-grossstaedten-fehlen-fast-zwei-millionen-bezahlbare-wohnungen/
22 Engels, ebd., S. 270 f.
24 Schon im Kommunistischen Manifest steht „die Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben“ an erster Stelle der „Maßregeln“ für die Umwälzung der Produktionsweise in den fortgeschrittensten Ländern: Marx, Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, MEW 4, S. 481